//Bonn: Stau-Touren werden bei Touristen immer beliebter
Einspurige Staus auf der Kennedybrücke

Bonn: Stau-Touren werden bei Touristen immer beliebter

Einspurige Staus auf der Kennedybrücke
Bei Stau-Touristen beliebt: Die Kennedybrücke.

Bonn – Sie stehen morgens und abends an Kreuzungen und verstopften Straßen, fotografieren den Verkehr und lassen sich von einem Naturschauspiel beeindrucken, dass es anderswo kaum noch gibt: Stau-Touren boomen in Bonn! Immer mehr Touristen aus aller Welt strömen in die Stadt, um den stockenden und stehenden Verkehr zu beobachten.

„Das gibt es nur in Bonn“, schwärmt Barbara Redich (35) von Bonn-Tourismus. Rund 5000 Touristen nahmen das Angebot im letzten Jahr wahr. Dieses Jahr rechnet man mit doppelt so vielen.

Dass es einen derartigen Zulauf zu den geführten Touren geben würde, hätte man vor Jahren nicht einmal geglaubt. „Erst kamen die Weltenbummler, die sich sonst für Slum-Touren oder Backpacking-Trips begeistern. Die wollten mal etwas neues erleben. Inzwischen sind wir aber auch beim Massentourismus angekommen“, berichtet Redich.

Die Staus, ein Naturphänomen, das die Touristen vor allem beim Anbruch des Morgens und in den frühen Abendstunden bewundern können, gibt es in freier Wildbahn in immer weniger Städten. „Viele andere Kommunen haben sich in den vergangenen Jahren ökologisch transformiert und durch ein verbessertes Baustellenmanagement, effizientere Verkehrsführung und eine Förderung des Nahverkehrs dafür gesorgt, dass man kaum noch Staus in freier Wildbahn erleben kann“, meint Stau-Experte Sven Tauering (55), Verkehrsforscher an der Ruhr-Universität Bochum.

Seit 2015 stehen die Stau-Touren auch als Geheim-Tipp in der Neuauflage des „Lonely Planet Bonns“. Dort heißt es: „Die ehemalige Bundeshauptstadt hat sich in den vergangenen Jahren mit Verve darangesetzt, die fragile Mischung aus Baustellen an neuralgischen Punkten, etwa am Stadthaus oder der Römerstraße, über Jahre hinweg zu erhalten. Zugleich setzt man dank des City-Ring-Konzepts und einer defizitären Parksituation darauf, möglichst viele Autofahrer sinnlos im Kreis fahren zu lassen, um die Verkehrsdichte weiter zu erhöhen. Entscheidend jedoch war weiterhin, konsequent den öffentlichen Nahverkehr auf dem Stand der 70er Jahre zu belassen und das Radfahren kaum zu fördern. Nur dank dieser vorausschauenden Planung kann man heute noch fast täglich kilometerlange Staus beobachten, ein Schauspiel, dass es so in kaum einer anderen europäischen Stadt mehr gibt.“

Die geführten Stautouren gibt es an jedem Wochentag zwischen 7 und 9 Uhr und ab 17 Uhr im gesamten Bonner Stadtgebiet (Kostenpunkt: 15,- Euro p.P., inklusive Selfie-Möglichkeit). Schwerpunkte sind die Einfallstraßen und die Innenstadt. Beliebte Treffpunkte für Stauschauer sind etwa der Fußgängerüberweg am Stadthaus, von dem man einen faszinierenden Blick auf den Stau hat, das Haus der Geschichte, bei der man den Stau an der B9 erleben kann, oder die Kennedybrücke.

Redich gibt den Staufans aber noch wichtige Tipps mit auf den Weg: „Viele Staus und deren Teilnehmer mögen es gar nicht, wenn man sie fotografiert. Ähnlich wie bei Slum-Touren sollte man dies also heimlich machen. Bitte sprechen sie auch keine Autofahrer an, die Teil dieses Naturphänomens sind. Denn oftmals sind die Menschen hinter dem Steuer sehr genervt von den immer rücksichtsloser werdenden Staubeobachtern, die inzwischen auch für Verkehrsbehinderungen sorgen.

Gelernte Investigativ-Redakteurin bei der Rheinischen Tagespost, Schwerpunkt Köln.