Bonn / Bad Godesberg – Stoßstange an Stoßstange stehen die Autos am Grenzübergang an der B 9, auf der Godesberger Seite. Sie wollen durch den Tunnel nach Bonn. Doch die ausreisewilligen Godesberger haben das Nachsehen: Denn der Tunnel an der B9 ist seit Freitag geschlossen – und bleibt offenbar weiter zu.
Augenzeugen wollen gesehen haben, wie uniformierte Personen die Bürger per Megafon anwiesen, umzudrehen und nach Hause zu fahren. „Hier herrscht Chaos“, schreibt ein Augenzeuge der Rheinischen Tagespost. Seinen Namen will er nicht in den Medien lesen, aus Angst vor Konsequenzen.
Offiziell lautet die Begründung der Godesberger Führung schlicht: „Technische Probleme“. Doch der Grund ständiger Stromausfälle ist nach Informationen der Rheinischen Tagespost nur vorgeschoben, vielmehr scheint es in der Stadt zu grummeln: Nach mehrfachen Berichten über die schlimmen Zustände im Gebiet hatten offenbar vermehrt Bürger ihre Habseligkeiten gepackt, wollten ausreisen.
Rolf Hasselbauer, Politologe an der Uni Bonn, schätzt die Lage vor Ort kritisch ein. “ Die Zustände müssen sich offenbar weiter verschlimmert haben. Offenbar blieb dem Regime keine andere Möglichkeit, als die wichtigste Route aus dem Ort abzuriegeln. Dabei zeigt die Geschichte doch, dass man Bürger nicht am Ausreisen hindern kann. Auch viele Godesberger ließen sich nicht beirren, nutzten die noch immer geöffneten Schleichwege, etwa über die Ubier- und Mittelstraße, die Ludwig-Erhard-Allee.
Update 14:26: Inzwischen scheint die Führung der Stadt ein Einsehen gehabt zu haben. Der Tunnel wurde zumindest vorläufig teilweise wieder geöffnet, kann von allen Ausreisewilligen wieder genutzt werden. Besondere Ausweise oder Dokumente sind nicht nötig. Auf einer Pressekonferenz am Morgen teilte ein Sprecher mit: „Das trifft . . . nach meiner Kenntnis . . . ist das sofort, unverzüglich.“
Offenbar kam es zu herzergreifenden Szenen, lange Autokorsos schlängelten sich hupend und in Schrittgeschwindigkeit über die Straße, Menschen, die sich tagelang nicht gesehen hatten, fielen sich in die Arme. Doch viele Bonner nehmen die Neuankömmlinge eher neutral an. Rolf Meyer kommentiert trocken: „Naja, eigentlich ist es auch nicht viel anders als beim täglichen Feierabendverkehr.“